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{Dr. Uwe Schramm} Mein Tarzan Die Figur des „Tarzan“ zählt weltweit zu den bekanntesten Helden der Film- und Fernsehlandschaft. Geboren wurde der „Herr des Dschungels“ zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Sein Erfinder, der amerikanische Schriftsteller Edgar Rice Burroughs, verschaffte ihm einen ersten Auftritt in einer 1912 herausgegebenen Ausgabe des „All-Story-Magazines“. Tarzan – so erzählt die Geschichte - ist der Sohn eines britischen Lords und dessen Frau. Beide wurden von Meuterern an der afrikanischen Küste ausgesetzt und starben kurz nach der Geburt ihres Sohnes. Nach dem Tod seiner Eltern wird Baby-Tarzan - fern jeder menschlichen Zivilisation - von Affen aufgezogen und schon bald mit der rauhen Wirklichkeit des Dschungellebens vertraut gemacht. Der Kontakt zu Menschen ergibt sich erst wieder, als der jugendliche Dschungelheld zufällig auf Jane, die Tochter eines Wissenschaftlers, trifft. Er verliebt sich prompt in die langhaarige Schönheit, die fortan zu seiner Gefährtin wird und ihm schon bald einen kräftigen Sohn schenkt. Jane ist es auch, die den Dschungelrüpel zähmt und ihm Manieren beibringt. Gemeinsam lebt die Familie im Urwald – ein luftig über den Wipfeln schwebendes Eigenheim mit angeschlossenem Naturpool inklusive- , inmitten von zahmen Elefanten und Schimpansen, und besteht eine Reihe von Abenteuern, deren effektvoll inszenierte Verfilmungen die Kinosäle füllen. Die Filmbühne betrat der etwas naive, dafür aber mit strengen Moralvorstellungen und stählernen Muskeln gesegnete Held in den 1930er Jahren. Mit dem ehemaligen Weltklasseschwimmer Johnny Weissmüller wurde ein idealer Darsteller für die Glitzerwelt des Films gefunden. Der wortkarge Modellathlet verband ein blendendes Aussehen mit Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit. Weissmüllers wohl bekannteste Filmpose ist die eines unerschrockenen Kämpfers gegen Ungerechtigkeit und zivilisatorischer Barbarei gegenüber der Schönheit des unberührten Dschungels. Bekleidet nur mit einem Lendenschurtz, die breite Brust vorgewölbt, seine Hände zu einem Trichter geformt, aus dem ein markerschütternder Schrei in die Welt geschickt wird, der die majestätisch grasenden Tiere ebenso erstarren läßt wie die aufgeregten Eingeborenen und die unvermeidlich auftauchende Gruppe hellhäutiger Jäger – mit dieser Pose wurde Tarzan endgültig zur Legende und zum Vorbild für zahlreiche filmische und literarische Adaptionen. Tarzan zählt fortan zum Bestandteil des allgemein verfügbaren, universalen kulturellen Gedächtnisses. Eingebrannt in die Köpfe zahlreicher begeisterter Zelluloidjünger, steht Tarzan für das zumeist unerreichbare Idealbild einer unanfechtbaren Authorität. Der Mythos vom dominierenden Alphamännchen, dem die Welt ergeben - oder zumindest zuhörend - zu Füßen liegt, findet mit der Tarzan-Figur eine eindrucksvolle Bestätigung. Tarzans imposanter Schrei macht ihn zum
Herrscher über Leben und
Tod. Im Dickicht des Urwalds dient ihm der kehlige Dschungel-Jodler als
drahtloses Kommunikationsmittel und Warnsignal zugleich. Er bedeutet Mensch
wie Tier, daß Gefahr im Anzug sei, daß es um Leben und Tod
gehe. Mit ihm markiert der Urheber selbstbewußt sein Revier. Tarzan
schreit - und die Welt steht für einen Moment still. Sie hört
auf das ferne Signal und lauscht den übermittelten Informationen.
Wer ihn ausstößt, weiß, daß er Gehör, Aufmerksamkeit
und Anerkennung findet, und ist sich seiner priviligierten Stellung gegenüber
den übrigen Bewohnern seines Reiches sehr wohl bewußt. Johannes Gramms Tarzan-Skulptur ist als überlebensgroßer Ort
der Kommunikation geplant. Der imposante, in Bronze gegossene Dschungel-Held
ist über ein Gerüst von seiner rückwärtigen Seite her
zu erklimmen. Die Hände sind zu einem Schalltrichter geformt, um sämtliche
Informationen, die durch die hintere Kopföffnung in die Welt gesandt
werden, weithin hörbar werden zu lassen. Jeder kann sich hier frei
und zu allen Themen äußern, um damit Teil einer virtuellen Community
zu werden, die im Sinne einer Demokratisierung von verfügbaren Informationsmedien
ein Kunstwerk buchstäblich vom Sockel hebt und es zum benutzbaren
und allgemein verfügbaren Bestandteil der sich täglich neu formierenden
Mitteilungsfreudigkeit erklärt. Die verbale Beschränktheit des Filmidols weicht hier einer unaufhörlich sprudelnden Quelle an verbalen Ergüssen. Der wortkarge Tarzan von einst hat sich in die Gegenwart hinübergerettet und damit sein eigenes Überleben gesichert. Souvliert von unzähligen Stimmen aus dem Hintergrund, wird Tarzan zum Sprachrohr für all das, was die Menschen täglich bewegt, von dem sie träumen oder wovor sie sich fürchten. Die Möglichkeit dieser besonderen Art von Informationsvermittlung hebt den Sender aus der anonymen Masse der Informationsgesellschaft heraus. Gestärkt in dem Bewußtsein, sich jederzeit auf die starken Schultern des Vordermanns stützen zu können, ist die Verführung groß, von einer exponierten Position aus der Welt nunmehr mit gewachsenem Selbstbewußtsein seine Meinung mitzuteilen. Und alles, was aus dem Mund eines moralisch stets integer eingestuften Helden dringt, genießt zweifellos uneingeschränkte Aufmerksamkeit und Authorität. Johannes Gramms skulpturaler Entwurf definiert sich durch eine Vielzahl von künstlerischen, sozialen und medientheoretischen Bezugspunkten, deren Relevanz die Skulptur aus der Fülle an realisierten Diskussionsbeiträgen über Kunst im öffentlichen Raum heraushebt. |
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